Gesinnungsurteil zum Recht als Nicht-Recht
Kommentar zu Stefan Krauth: „Kritik des Rechts“, Stuttgart 2013

1.
Stefan Krauth bekennt sich zum systemischen Zusammenschluss von kapitalistischer Ökonomie und Recht. Allerdings gilt ihm dieser Zusammenschluss lediglich in einer analogischen Art und Weise, wie sie von Paschukanis angeboten wird:

"Dem Recht ist das Rechtssubjekt (die Rechtsfähigkeit) das, was der Kritik der politischen Ökonomie die Ware ist." (30)

Während in der Ökonomie, wie Krauth zurecht hervorhebt, die Wert(grössen)bestimmung den Willen der zu seiner Bildung beitragenden Protagonisten entzogen ist, ist deren Beitrag bei der Bildung des Werts dennoch über ihre Willensakte bzw. ihrer Willensaufgabe bzgl. eines (produzierten) Gegenstandes als ihnen zugeordnetem zu sehen.
Aber sein Einwand gegen Paschukanis:
"So ist es nicht hinreichend, die Formalität des Rechts damit materialistisch zu entziffern zu suchen, indem lediglich formal auf die sich auf dem Markt als Charaktermasken begegnenden Warenhüter abgestellt wird, die sich als gleich betrachten und gegenseitig anerkennen müssen."(112)
kann ebenfalls formal genannt werden, da er nicht benennt und zeigt, w a r u m und w o f ü r , also etwa für welche Rechtsmomente, die Charaktermasken der Warenhüter als nicht hinreichend befunden werden müssen.
Auf eine etwa zu erklärende Rechtssubjektivität ist dieses Argument allemal nicht ausgerichtet. Dass der nur irgendwie verfügende Wille zu noch so sehr mit Tauschabsicht hergestellte Gegenstände noch keine Rechtssubjektivität nach sich zieht, diese vielmehr eine besondere Art von Willensinstanz jenseits von konkretem Haben darstellt, entgeht ihm denn doch.

Über Paschukanis hinaus nimmt Krauth Bezug auf Althusser (6f, 111f): Im Recht sei das Andere, Wesentliche, Grundlegende, eben die „Produktionsverhältnisse", „abwesend“, „verschwunden“, also ausgespart. Auf einen Nachweis, dass die von ihm da vorgestellten "Produktionsverhältnisse" für das Recht tatsächlich und positiv bestimmend sind, verzichtet Krauth aber. Er begnügt sich mit der Feststellung der Negativität der Rechtssphäre bzgl. der "Produktionsverhältnisse", also einer Leerstelle im Recht als einzige Begründung. Nach so einer Verfahrensweise kann j e d e r im Recht n i c h t vorliegende Inhalt als Grund des Rechts gelten. Nicht zuletzt das von bürgerlicher Seite da reklamierte Menschsein, das für die Rechtswirklichkeit auch nach Krauth so unerheblich sich zeigt, könnte da in Frage kommen. Das inhaltliche Verhältnis von Recht und Produktionverhältnissen bleibt so als notwendiges nur behauptet. Da hilft auch kein selbstvergewisserndes "aber":
"Der Inhalt aber, ohne den das Recht nicht existierte und den das Recht sogleich zum Verschwinden bringt, sind die Produktionsverhältnisse, in denen der für den Käufer der Ware Arbeitskraft spezifische Gebrauchswert besteht, mehr Wert zu schaffen als zu ihrer Reproduktion notwendig ist, die Aneignung unbezahlter Arbeit." (112)

Diese Erweiterung von Paschukanis über den allgemeinen Warentausch hinaus im Lohnarbeitsverhältnis erfährt keine inhaltlich nachweisende Erklärung, sondern – nach einem beteuernden "vielmehr" – einen Beleg lediglich mit einem Zitat desselben behaupteten Inhalts (von O.Negt).

2.
(Als notwendige Konsequenz und so diesem ökonomischen Inhalt logisch nachgeordnet zu erweisen ist dieser rechtliche Wille also damit von ihm nicht ins Auge gefasst, sondern so ein Bemühen ist damit für obsolet erklärt. Dabei wäre im von ihm nur beschworenen Willensakt des Lohnarbeiters durchaus der erklärende Schritt zur Rechtssubjektivität zu sehen. Allerdings müsste man dazu den Verkauf der Arbeitskraft als Verleih des Menschen wahrnehmen. Damit wird der Lohnarbeiter nicht mehr nur als materieller Besitzer einer Möglichkeit (Kraft!) identifiziert, der im zeitlich nur punkthaften Verkaufsakt seinen Willen betätigt. Vielmehr ist damit am Lohnarbeiter ein bleibendes wie von seiner Materialität abstrahiertes Subjekt seiner selbst aus der Taufe gehoben, das kontinuierlich und gerade im Verlauf des Arbeitsprozesses abstraktes Subjekt, und darin deckungsgleich mit dem gesuchten Rechtssubjekt ist. Und ein bedürftiger Asylant kann damit für sich eben keine Rechtssubjektivität ausser über die Anerkennung einer solchen durch den Staat geltend machen, und wird im politisch gewollten Fall und dazu gehörenden rechtlichen Verfahren – wie Krauth doch ausführlich schildert – auf ein krepierendes Naturschauspiel reduziert werden.)

3.
Dass Krauth von einer begründenden Erklärung des Rechtswillens absieht, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er den Willen, auf den der Staat sich im Recht anerkennend bezieht oder beziehen soll, als den natürlichen und "spontanen", und darin freien, und gar nicht den rechtlich gebildeten Willen fasst. Die Rechtsperson als eben punkthafte Willensinstanz und der Willensinhalt Eigentum, den die bürgerlichen Subjekte mit ihr (etwa nach Hegels Darstellung desselben) nur pflegen können, ist so gar nicht sein Thema. Ihm gilt ein Willensbezug der Menschen auf sich und die Welt als maßgebend, der noch ganz dem natürlichen Umgang mit seinen Objekten wie seiner materiellen Bedürftigkeit verbunden ist, und eben durchaus auch noch das Haben der Warenverfügung wie den Verzicht darauf im Tauschakt abdeckt.
Er stellt zwar die Abstraktion des (Straf-)Rechts von der konkreten Entstehung des (kriminellen) Willens heraus, verweist aber nur negativ darauf. Recht kennt aber allemal nur ein von natürlicher Substanz abstrahiertes Willensubjekt, und auch strafende Gewalt zollt bei aller zugefügten und so gar nicht gewollten Pein dem Täter doch rechtliche Anerkennung. Wie dieses Subjekt sowie die Identität dieses Subjekts über Zeit und aktuelle wie konkrete Willensinhalte hinaus, und damit auch erst eine Zurechenbarkeit zustande kommt, ist für Krauth überhaupt kein zu erklärendes Phänomen.

4.
Es ist also alles in Allem kein Zufall, dass in Krauths "Kritik des Rechts" keinesfalls der rechtliche Wille und das Rechtssubjekt schon bestimmt und aus der Ausbeutung begründet, und d a r ü b e r desavouiert ist. Krauth kritisiert höchstens den M i s s brauch von Rechtsmomenten bzw. nur die N i c h t achtung von Willen durch staatliche Instanzen. Seine "Kritik des Rechts" enthält damit kein Urteil zum Recht an sich und mit allen seinen Elementen, sondern ist konsequent eine Verurteilung des Rechts, nur soweit seine ausführlich erläuterte Durchführung (etwa als strafendes) "selektiv" und dabei willkürlich, also vom Standpunkt des Rechts selbst gesehen nur schlecht betrieben wird:

"Im Ausnahmezustand, im rechtlichen Exzess und damit im Auseinanderfallen von Begriff und Wirklichkeit des Rechts zeigt sich die verdrängte Ausbeutung,..., als eigentlicher Rechtsgrund." (121)

Der urteilende Zusammenschluß von Recht und Ausbeutung ist so gerade nicht erklärt sinnfällig i m Recht selbst und überhaupt, sondern bleibt negativ der konkreten Besonderheit der fehlerhaften Rechtsdurchführung überantwortet. Eine begriffliche Begründung des Rechts aus der Ausbeutung ist nach Krauths Sichtweise offensichtlich positiv und für Leute jenseits der entsprechenden politischen Gesinnung nicht zu leisten.
Krauth baut also in seiner „Kritik des Rechts“ nicht auf eine nachvollziehbare Bestimmung des Rechts in seiner Notwendigkeit, sondern auf eine Feststellung seiner mangelhaften Anwendung. So bemüht er in seiner dennoch vollzogenen Verurteilung des Rechts einerseits nur ein marxistisch gesonnenes Vor-Urteil, und legt andererseits sonst eher eine konsequentere Rechtsdurchführung nahe.