Besprechung von
Daniel Loick: Juridismus. Konturen einer kritischen Theorie des Rechts, Berlin 2017
Titel:
Bewahrung des Rechts vor sich selbst und seinem Ismus
Abstract:
Loick
arbeitet entlang von markanten Positionen der Geistesgeschichte am
(europäischen) Recht heraus, wie es als
von der Gesellschaft
abgelöste
soziale
Form schon in seinem subjektiven Kern notwendig deformierend bis
zerstörend
auf die Menschen und ihr Zusammenleben wirkt:
„Entsetzlichkeit“ des Rechts. Loick entnimmt denselben
Wirkmomenten allerdings auch eine entgegengesetzte, emanzipatorische
wie sozialisierende Leistung für die
Menschen.
Eine
begründende Erklärung für die Ausbildung, Praktizierung und
Erhaltung dieses
aktuellen
Rechts in eben seiner
Zwiespältigkeit strebt Loick nicht an. Er geht
vielmehr von der Zufälligkeit der Rechtstradition aus und lehnt
einen ihr
äußerlichen Grund ab. Die Bestreitung von Beweggründen
der Menschen in der Befürwortung des Rechts und seiner
Auswüchse
ist ihm deshalb kein Anliegen. Kritikwürdig ist für Loick lediglich
die Tendenz, Rechtlichkeit gegen
die
Menschen zu
übertreiben: Juridismus. Durch Ausmalung alternativer
gesellschaftlicher Regelungen und Verfahren
meint er die Menschen für ein anderes, nicht-dominierendes Recht gewinnen zu können.
„Juridismus
bezeichnet die Dominanz des Rechts in den zwischenmenschlichen
Interaktionsweisen westlicher
Gesellschaften, welche die Bedingungen eines guten oder gelingenden Lebens als Zusammenleben untergräbt.“ (288)
Loick
tritt an, die „potentiellen Defizite..., die schon in der
Rechtlichkeit als solcher liegen“ (27) zu bestimmen,
auf
keinen Fall will er „ein bestimmtes Recht nur im Namen eines
anderen Rechts“ (27) kritisieren.
Allerdings resultiert bei
Loick dann doch ein Fabulieren über ein
ideales Recht, letztlich nurmehr darüber lässt er das vorliegende
Recht
schlecht aussehen. Welche Erklärung bietet Loick für die
Rechtlichkeit, und wie untergräbt sein Argumentationsverlauf
sein zunächst grundsätzlich kritisch sich gebendes Eingangsurteil zum Recht?
„Annäherung mit Hegel“ an das Recht und seinen Ismus.
Juridismus als Übertreibung des Rechts
„Juridismus
als Trennung“ mündet nach Loick in einer „problematischen
Dominanz des Rechts in den sozialen
Beziehungen“, in einer „´Äußerlichkeit des Einsseins´“(27)
Diese Kennzeichnung übernimmt
Loick von Hegel:
„Eine
übermäßige
Versteifung
auf das (eigene)
Recht,
… , ist für Hegel deshalb problematisch, weil ein Mensch sich
so von den anderen Menschen absondert, entzweit oder entfremdet.“(27f)
Loick
geht es nun darum nachzuweisen, „dass das Recht solche
Versteifungen regelmäßig und strukturell produziert,
..., dass es
nicht oder zumindest nicht
nur als
Medium der gesellschaftlichen Koordination und Kooperation dient,
sondern immer auch gegenläufige Tendenzen mitfabriziert.“ (28).
Loick verortet im von Hegel erfassten abstrakten Recht ein Wirkmoment gegen "Kooperation und Konfliktschlichtung"
(40), gegen "physische und psychische Unversehrtheit" (40), und für "die Einrichtung eines potentiell despotischen
Staatsapparates" (46), somit gegen "politische Selbstbestimmung" (40):
„Das
Recht fabriziert Subjekte, die ideologisch verblendet, emotional
verarmt, kommunikativ ausgedörrt und politisch
passiviert sind.“ (Buch-Rückseite),
Damit
herrscht „ideologische
Täuschung, psychologischen Deformation, Verlust kommunikativer
Qualität
und …
politischen Paralysierung“(13), mit einem Wort: „Entsetzlichkeit“ (13).
Loick resümiert, dass das abstrakte Recht einem "sozialen Freiheitsbegriff" "nicht oder nicht ausreichend genügt"
(39f). Loick führt weiter aus, dass diese „Dissoziationseffekte
des abstrakten Rechts“ (39) auch mit Hegels
Therapieempfehlung der„Versöhnung“ (47) „im Rahmen eines Gesamtmodells der
Sittlichkeit“ (55) der
Rechtsphilosophie nicht geheilt werden können. Auch Hegels frühes Konzept der Liebe in „Der Geist des
Christentums“ (57-76) tauge dafür nicht – wie auch eine
„Suspension des Rechts“ (54) durch „kommunistischen oder
anarchistische Rechtskritiken“(55).
Loick
weist auf das Trennende als Qualität des Rechts selbst und seiner
kategorialen Grundelemente hin. Er führt
dieses Trennende allerdings
nur an den Folgen
der Anwendung des Rechts vor. Dissoziation und Entsetzlichkeit
resultieren nach Loick auch nicht aus der Regelhaftigkeit dieser
Anwendung, sondern allein aus singulären Exzessen
des Rechts, sei es aufgrund staatlicher Dominanz oder privat orientierter Übertreibung.
„Der emanzipatorische Gehalt des Rechts“(102)
Die Qualität seiner negativen Beurteilungen des Rechts
(„übermäßige
Versteifung“, „nicht nur...Medium
der
gesellschaftlichen Kooperation“) ließ es schon vermuten: Die
rechtlichen Grundelemente wie das Person-sein sind
nach Loick nicht
als Grund für diese Exzesse anzusehen, da
gerade diesen Grundelementen zugleich ein Positivum
zuzubilligen ist.
Loick befindet – trotz aller
„problematischen Effekte der gegenwärtigen Gestalten dieser
Kategorien“ (109) – einen
„emanzipatorischen Gehalt des
Rechts“, in den „positiven Leistungen (die) das moderne Recht am
Subjekt erbringt“
(102).
Warum
es Recht gibt und es sein muss, ist für Loick also keine zu klärende
Frage. Angesichts
der tatsächlichen
Gegebenheit des Rechts weiß er nurmehr seine
Wirkung zu bereden, also auch seine etwaige Brauchbarkeit für die
Menschen:
Erst
„das Recht … fabriziert Subjekte, die sich der Legitimität und
der Möglichkeit gewahr sind, anders zu sein als die
anderen“
(103). Diese Subjekte haben nach Loick erst mit dem „Respekt
personaler
Zurechnung von
Verantwortung“(105),
also als Rechtssubjekte die „Möglichkeit, für ihr Handeln
einzustehen“ (104) Zudem: „Die
Bedeutung des Rechts für die
Entwicklung von Selbstachtung … ist konstitutiv“ (108), damit
ergebe sich die
„Erfahrung rechtlicher Würde“. (108)
Ob für diese –
gesellschaftlichen wie individuellen – Emanzipationsmomente nicht
ein verständiger menschlicher Geist
hinreichen sollte, sondern es
unbedingt der Instanz einer abstrakten Rechtssubjektivität dafür
bedarf, diese
Erläuterung bleibt Loick schuldig. Das Recht wird von
Loick als bestimmend („konstitutiv“) sowohl für die Dissoziation
als auch für die Emanzipation der Menschen schlicht behauptet.
Umgekehrt ist damit von dem Anliegen Abstand
genommen, überhaupt zu
klären, warum die Menschen dieses so ambivalente Recht
hervorbringen, praktizieren und
erhalten.
So fabriziert Loick aus einer radikal anhebenden Kritik des Rechts gerade seine Ehrenrettung:
„die
Ursache des europäischen Juridismus [ist] nicht im Recht als solchem
zu suchen, sondern nur historisch
spezifisch in einer bestimmten Form und einem bestimmten Inhalt des Rechts.“ (109)
Gegen
all seine eigenen negativen Urteile zum vorliegenden Sachverhalt des
Rechts gilt es nach Loick das Recht
gegen seine Erscheinungsform
aufrechtzuerhalten, also als Idee zu pflegen, da Recht zumindest auch
„eine
Bedingung des gelingenden Lebens als Zusammenleben“ (295) sei.
Despotie des Rechts
Entlang des römischen Rechts habe
nach Loick Hegel seine Sittlichkeit gegen die Sittlichkeit der Liebe
(in „Der Geist
des Christentum“) reformuliert.
Die
römische Rechtssubjektivität mache nach Hegel über seinen „Kern“,
das Privatrecht (122) „aus der Vielzahl
empirisch ungleicher
Menschen rechtlich gleiche Rechtssubjekte.“ (120). Im römischen
Recht bestehe aber
„Rechtspersonalität als abstrakte Freiheit und
konkrete Unfreiheit“ (122). Nach Hegel existierten in der römischen
Gesellschaft „gar
keine
gemeinsamen Bezugspunkte“ (129), sodass „nur
noch
Zwang das Auseinanderfallen des
Staates verhindert“ (129).
Sowohl für römische
Rechtsverhältnisse als auch für die deren Rechtsinstitute
adaptierende bürgerliche Gesellschaft
(162) folgert Loick einen
notwendigen „Despotismus“, weil sich die Menschen „als
Rechtspersonen zu einem Dasein
als schiere Eigentümer degradieren
lassen“ (130), und diese „spröden“, sprich atomisierten
„Individuen... von außen
zusammengehalten werden“ (129) müssen.
Loick
betont für die bürgerliche Gesellschaft zwar eine
Weiterentwicklung: „zur vollen Blüte gelangt die
Rechtspersönlichkeit erst in der Neuzeit“ (121 Anm.). Deutlicher (im Kapitel über Nietzsche):
„erst
die modernen subjektiven Rechte (verstehen) das positive Wollen der
Rechtssubjekte als Ansprüche
der
Einzelnen aneinander und die Gesellschaft“ (199).
Mit
dem Verweis auf Marx´ „Realabstraktion“ („Die Abstraktion, die
der Rechtspersonalität zugrunde liegt, ist nämlich
kein kognitiver,
sondern ein praktischer Vorgang“125), lehnt Loick Hegels Konzept
ab, diese Abstraktion ideal, also
unmittelbar i
m
Willen des Subjekts bestimmt und gebildet zu finden.
Er
thematisiert aber dennoch nicht, worin und warum die bürgerliche
gegenüber der antiken Rechtsperson anders sich
darstellt. Mit
der Missachtung der Differenz von römischer und bürgerlicher
Person, nimmt Loick das bürgerliche
(=„europäische“) Recht
zumindest in seinem negativen Moment als ebenfalls die Menschen nur
von außen
dominierende Abstraktion:
„Dem
Recht gelingt es so, die Menschen zu einer Form von Abstraktion zu
bewegen, die ihre eigene Besonderheit und
die ihrer Mitmenschen zugleich vernachlässigt.“ (126)
Dem
inhaltlichen Unterschied der historischen Rechtsarten geht Loick also
gerade aus dem Weg: Mag zwar das
römische Recht diese Abstraktion in
der Tat von außen herstellen, ist die bürgerliche Person eine
Abstraktionsleistung
zumindest ü b e r die menschlichen Subjekte selbst und ihren p o s i t i v e n Willen.
Hegels Recht aus dem Willen der Menschen
Hegels kritischer Begutachtung des
römischen Rechts entgegengerichtet, beginnt nach Loick dennoch mit
der
„Phänomenologie des Geistes“ eine Fehlentwicklung der hegelschen Rechtserklärung:
„der
methodische Unterschied liegt … darin, dass Hegel das Recht nicht
erst als soziales Faktum hinnimmt und in
einem zweiten Schritt
dessen Auswirkungen auf die Subjektivität untersucht, sondern es von
vornherein aus der
Entwicklungsperspektive des Subjekts ... behandelt.“(131)
Diese
„rechtliche Subjektivierung“ (140) bedeute zugleich eine
„politische Ironie“ dergestalt, „dass die Menschen im
abstrakten Recht die Verwirklichung persönlicher Freiheit suchen,
zugleich aber gezwungen sind, eine politische
Macht zu akzeptieren,
die diese Freiheit immer zugleich negiert“ (141).
Diese Herangehensweise Hegels an
das Recht münde schließlich in “Hegels Depotenzierung des Rechts
und der
Rechtskritik“ (147) in der Rechtsphilosophie:
„Hegel
kann die Einseitigkeit und Versteifung nicht mehr dem Recht selbst
anlasten“ (149), sondern nurmehr den
„rechtsvorgängigen Charaktereigenschaften des Rechtssubjekts“ (149).
Mit
der Entwicklung des Rechts aus dem Willen kehre Hegel nach Loicks
Vorstellung die tatsächliche
Abfolge der
Dinge um:
„So
konstruiert er ein Phänomen als natürlich, das in Wirklichkeit erst
Ergebnis der faktischen Einrichtung von
Rechtsstrukturen ist“ (150).
Entsprechend sei die „Versöhnung“
in der bürgerlichen Sittlichkeit zwischen abstraktem Recht und dem
Leben nicht
harmonisch und nicht aus dem abstrakten Recht selbst
heraus zu haben. Vielmehr ist letztlich „Hegels Lösung, das
Recht
… nur zu ergänzen, … zum Scheitern verurteilt“ (163), auch
wenn auf ein ganzen System an sittlichen
Anstrengungen (152), und letztlich despotischen Staatsinstitutionen (157) abgestellt wird.
Loick
begreift so Hegels Darstellung als „ideologischen
Auffassung,
das Recht als Konsequenz des Willens ... zu
begreifen“ (150 Anm),
und richtet sich gegen diese geistesnotwendige Entwicklung und
begriffslogische
Darstellungsweise des Rechts durch Hegel.
Allerdings
bietet Loicks Ablehnung dieser Vorgehensweise als inhaltliche
Begründung nur, dass der Wille genausogut
umgekehrt,
„genealogisch“, also materiell-historisch „als Konsequenz der
Rechts zu begreifen“ wäre. Hegels
Bemühungen einer Bestimmung der
logischen
Stellung der zeitgleich vorliegenden gesellschaftlichen Momente
zueinander
hält er überhaupt für obsolet. Entsprechend lässt Loick schon
Hegels Entwicklung
des Willens zum
abstrakt freien Willen argumentativ völlig
unberührt. Er nimmt sie nur als durchaus möglichen realen
Wirkmechanismus, der nicht logisch entkräftet werden muss, sondern
der mit einer anderen, realhistorisch nur
ebenfalls nachvollziehbaren Entstehungsvorstellung des Rechts schon desavouiert sei.
Die
„Grundlinien der Philosophie des Rechts“ von 1921, die Hegel als
konsequenten Endpunkt seiner theoretischen
Bemühungen angesehen hat,
übergeht Loick letztlich. Von dem „logischen Geiste“, von dem
Hegel „möchte.., dass
diese Abhandlung gefasst und beurteilt
würde“ (Vorrede V), will Loick nichts wissen. Loick bemüht sich
ausdrücklich
nicht um Prüfung der logischen Systematik in der
Rechtsphilosophie Hegels, sondern er lehnt eine solche vorab und
unbesehen ab.
Loick
hält deshalb nur mit Blick jenseits
der Logik der Rechtsphilosophie Hegels die Annahme eines „Willens
an sich
vor dem tatsächlichen geschichtlichen Auftauchen von
Willensäußerungen“ für einen unredlichen „Kunstgriff“ (150)
Hegels.
Der innertheoretische Fehlgriff
Hegels entgeht ihm so vollständig, nämlich einen abstrakt freien
Willen aus jedwedem
Willen zu folgern und ihm getrennt von jedwedem
Willen eine Existenz für sich zuzuordnen.
Loick
mag zuzustimmen sein, dass die bürgerliche Rechtsperson nicht –
wie Hegel sich das vorstellt – Ausfluss des
Willens sein kann. Was
für eine Art Wille aber doch imstande und genötigt sein mag, zum
Rechtswillen zu gedeihen,
ist damit nicht beantwortet. Allemal kann
es nur ein Wille sein, der inhaltlich schon festgelegt ist, sprich:
eine Art Willen
im Widerspruch zu sich selbst.
„genealogische Radikalisierungen“ Hegels – Marx
„Marx´ politische Kritik der Absonderung“ (161)
Loick
erwägt, dass es „Neben der ideologischen
Auffassung,
das Recht als Konsequenz des Willens, und der
genealogischen
Auffassung, den Willen als Konsequenz der Rechts zu begreifen“ (150
Anm.) eine dritte Möglichkeit
gibt. Nach Loick könnte „Hegels
Analyse des Juridismus materialistisch“ (151) gewendet werden, es
wäre auch
möglich „den Willen als rechtsvorgängig, aber sozial
zu verstehen“ (150 Anm.). Als Protagonisten dieser Position, mit
ihrer Zuspitzung „auf eine grundsätzliche Infragestellung der
Rechtsform“ und der Perspektive einer „Überwindung
bürgerlicher
Rechtsformen“ (163) stellt er Marx vor. Allerdings liest er Marx´
Sichtweise wie schon Hegels
Rechtsphilosophie als nichtlogische
Systematik, und nimmt Marx´ Entwurf keinesfalls als mit Hegels
Systematik
konkurrierende Erklärung des (Rechts-)Willens.
Überhaupt
leiste Marx´ Theorie gar keine Begründungsleistung für etwas das
existiert,
auf keinen Fall für das
existierende Recht, sondern sie sei Erklärung nur für etwas, was es nicht gibt:
„Das
entscheidende Hindernis der Verwirklichung sozialer Freiheit ist für
Marx eine Produktionsweise, die den
Einzelnen ein Desinteresse an den konkreten Bedürfnissen der anderen aufzwingt.“ (161)
Genauer sei Marx nur die Fassung einer schlechten Rahmenbedingung für das Recht gelungen:
„...kritisiert
Marx, dass es gerade die Bedingungen kapitalistischer
Produktion
sind, unter denen sich die rechtlich
ermöglichte soziale Zentrifugalkraft entfalten kann.“ (161)
Damit
gilt es nach Loick die kapitalistische Produktion in der
begrifflichen Fassung von Marx allemal nicht als
(logischen) Grund
für das Recht überhaupt zu begutachten, sondern lediglich als eine
ungünstige soziale Umgebung
zu nehmen, aufgrund deren eher die
schlechten anstatt die guten Momente des Rechts zur Geltung kommen.
Nach
einer logisch stringenten und umfassenden Begründung des Rechts
durch die ökonomischen Kategorien sei bei Marx
überhaupt nicht zu
fahnden. In der Tat wäre nur mit einem derartigen Nachweis eine
Nachrangigkeit des Rechts
gesichert, und die Autonomie des Rechts „als eigene Sphäre“ (178) relativiert.
Auf Marx´ fortgeschrittenstes
wissenschaftliches Werk, „Das Kapital“ und das logische Potential
seiner Kategorien im
Hinblick auf die rechtliche Willens- und
Subjektbildung will Loick dabei schon gar nicht eingehen. Selbst die
üblicherweise dafür bemühte Ware und ihr Austauschprozess findet
diesbezüglich nicht einmal eine Erwähnung
geschweige denn eine Erörterung.
Stattdessen bescheinigt er Marx
und seinen Nachfolgern bzgl. einer Begründung der
Rechtssubjektivität aus den
Kategorien der Mehrwertproduktion eine prinzipielle Fehlerhaftigkeit so knapp wie pauschal:
„das
Recht ist nicht einfach der nachträgliche Ausdruck oder das
ideologische Resultat von Atomismus und Egoismus,
sondern stellt sie auch mit her.“ (163)
„Diesen
Ansätzen kann hier allerdings nur so weit gefolgt werden, als die
das Recht nicht zu einem bloßen
Überbauphänomen oder zur Widerspiegelung der ökonomischen ´Basis´ herabstufen“(15)
Diese Gegenposition Loicks mag
hier zwar gegen bekannte Marxismen auftreten, die statt einen
logischem Nachweis
dafür zu leisten, sich mit einer „Weltanschauung“
von ökonomischer Basis und rechtlichem Überbau zufrieden geben.
Loick selbst vermeidet aber ebenfalls eine prüfende Suche nach
logischen Notwendigkeiten für das Recht in einem
von Marx
beanspruchten Wesenskern der bürgerliche Gesellschaft. Loick pocht –
letztlich wie die kritisierten
Verfechter der ökonomischen Wirkung
auch – jenseits einer logischen Systematik nur auf die tatsächliche
Wirkmächtigkeit des Rechts. Es gelte entscheidend seine reale andere, „direktive Dimension“:
„Das Recht … veranlasst. Diese Funktion des Rechts ist aktiv“ (162f).
Damit wiederholt und bekräftigt
Loick spiegelverkehrt den Fehler der kritisierten Positionen, die
Kategorien der
bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Tatsächlichkeit
zu isolieren, und nur in ihrer jeweiligen realen historischen Wirkung
zu nehmen und zu begutachten:
„ist
es die spezifische Form
moderner Rechte als subjektive Rechte, welche die bürgerliche
Gesellschaft als Summe
voneinander isolierter Subjekte hervorbringt“ (mit Bezug auf Menkes „Kritik der Rechte“, 165)
Auch
Loick will die Phänomene der bürgerlichen Gesellschaft gar nicht in
einem systemischen Zusammenhang
(wahr)nehmen, und prüft deshalb auch
nicht ihre in diesem Zusammenhang allein logisch sich darbietende
Stellung.
Hegel
betonte, dass seine Abhandlung des Rechts auf dem „logischen
Geiste“ beruhe, und forderte, dass sie darin
auch „gefaßt und
beurteilt würde“ (Vorrede V). Marx hat wie Hegel ein solche
logisch in sich stimmige Systematik für
die bürgerlichen
Gesellschaft verfolgt (und vielleicht wie Hegel verfehlt). Dass beide
Systematiken eben auch nur in
ihrer kategorialen Logik grundlegend anfechtbar wären, ist Loick offensichtlich weder geläufig noch diskussionswürdig.
Dabei rühren Loicks sachliche
Kenntnisse durchaus an logische Notwendigkeiten heran: Er stellt
immerhin fest, dass
die „Umwandlung des Körpers in Arbeitskraft“
mit einer „Fabrikation von Rechtssubjektivität“ (171, Anm.)
einhergeht.
Diesen Zusammenhang nimmt er aber als eine Zufälligkeit,
und er ist ihm mitnichten Anlass, da inhaltlich
nachzuhaken. Schon
gar nicht nimmt er diesen Konnex als mögliches logisches
Schlüsselmoment einer Begründung
der Rechtsperson an, aufgrund
dessen dann selbst Lohnarbeiter – wie auch alle anderen Subjekte
der bürgerlichen
Ökonomie – aktiv für Recht und Despotie zu haben sind.
Loicks Würdigung der
marxistischen Diskussion:
„Marx´
Beitrag zu einer spezifischen sozialphilosophischen
Kritik
des Rechts ist bislang allerdings noch nicht
hinreichend gewürdigt worden.“ (163,Anm.)
kann damit voll und ganz ihm selbst gegenüber vorgebracht werden.
Marx als Ideengeber eines anderen Rechts
Marx´ Perspektive auf das Recht
besteht Loick zufolge gemäß seiner von ihm behaupteten
systematischen Stellung
als logisch gefolgert darin, „es zu
überwinden“ (181), weil es mit der Überwindung der bürgerlichen
Ausbeutung „als
eigene Sphäre schlicht überflüssig geworden ist“
(178). Nachdem Loick aber das Recht als logisch nachgeordnetes
Moment
der bürgerlichen Gesellschaft nicht beurteilt, und es auch als
solches in Marx´ systematischen Werk „Das
Kapital“ nicht verfolgen will, kann er diese Konsequenz nur unbesehen ablehnen.
Loick
zieht es vor, sich auf den frühen Marx zu besinnen und sich der
vorwissenschaftlichen „Zielvorstellung“(179) von
Marx zu widmen, nach welcher es gelte „das Gesetz menschlicher zu machen“ (172).
Dabei gilt es nach Loick dennoch kritisch zu verfahren:
„um
der essentiellen menschlichen Sozialität Rechnung zu tragen und
soziale Freiheit zu verwirklichen“, muss das
Recht „auch seiner Form nach verändert“ (184) werden.
Diese herbeigesehnte Beibehaltung
des Rechts unter seiner Formveränderung soll dem Recht „grundlegend
andere
Subjektivierungspraktiken“ bescheren, „die eben das
Subjekt, indem sie es rechtlich binden, zugleich von Recht
befreien“
(184).
Loick
spitzt die Differenz von Idee und Wirklichkeit des Rechts gezielt auf
diesen Widerspruch zu, Recht als Befreiung
von Recht zu denken. Loick
gesteht damit ein, sich gänzlich von dem emanzipieren zu wollen,
was Recht reell und
seinem Begriff nach ist.
Die imaginierte andere gesellschaftliche Regelung dennoch Recht zu
nennen, ist nurmehr
Loicks subjektiver Deutungshoheit und Entscheidungswillkür geschuldet.
Hegel
beanspruchte mit seinen theoretischen Anstrengungen noch „Das, w a
s i s t
zu begreifen“ (Vorrede XXII)
und formulierte damit auch eine
Distanz zu allen wohlmeinenden Schwärmern: „baut... sich eine
Welt, wie sie sein
soll, s o e x i s t i e r t s i e w o h l ,
aber nur in seinem Meinen...“ (Vorrede XXII).
Loick
bemüht sich jenseits einer logisch-begrifflichen Fassung dessen, w
a s und vor allem w a r u m Recht
i s t , unbekümmert darum, was und wie das Recht sein s o l l .
„genealogische Radikalisierungen“ Hegels – Nietzsche
„Nietzsches Genealogie der unterwerfend-unterworfenen Rechtssubjektivität“ (185)
Die
logische Kreation des Rechts sowohl aus dem Willen (Hegel) als auch
aus der Art des Wirtschaftens (Marx) ist
nach Loick also zu
verwerfen, ohne dass es ihre Logiken dahingehend zu prüfen und zu
widerlegen gälte. Stattdessen
favorisiert Loick eine positive Idee
von Recht. Vor Ausmalung dieser Idee vergewissert er sich noch
entlang von
Nietzsche seines eigenen kritischen Urteils zum Recht,
nach dem der Willenshaushalt der Menschen in seiner
Wirklichkeit der geltenden (europäischen) Rechtlichkeit nachgeordnet sei.
Nietzsche
formuliert nach Loick in seiner „Genealogie der Moral“ „eine
perfektionistische Kritik des Rechts“
(185), die
das Recht „hinsichtlich seiner Verwirklichung eines
´guten Lebens´ bewertet“ (185), also „nicht wegen seiner
Ungerechtigkeit oder Unmoral kritisiert, sondern weil es ein gutes
Leben versperrt.“ (217)
Loick: „Ein juridisch konstituiertes Subjekt zu sein ist offenbar eine suboptimale Existenzweise“ (219)
Im
Gegensatz zu Hegels Konstruktion „der Herauslösung des Individuums
aus der naturwüchsigen Gemeinschaft aus
Perspektive der Subjekte“
(195 Anm.) beschreibe Nietzsche „diesen Vorgang ...als
eine (vertikale) Dynamik zwischen
einem Subjekt und der Gesellschaft“ (195 Anm.):
„Die
Konstitution des ´souveränen Individuums´ist somit paradox: Sie
ist Konstitution zugleich
einer
Unterwerfung und
einer Ermächtigung“ (195)
und zwar sei „das Rechtssubjekt ... durch die Ermächtigung unterworfen“ (195).
Allerdings prägen bei Nietzsche nicht die Produktionsverhältnisse á la Marx (und ihre Tausch- und
Anerkennungsverhältnisse) den nachgeordneten Willen der Menschen. Nietzsche stellt sich die schon fertigen
rechtlichen Verpflichtungen jenseits gesellschaftlicher Verhältnisse als die treibenden Momente für die Willensbildung
der Menschen vor:
"Der Wille des Einzelnen (ist) in Wirklichkeit erst Ergebnis juristischer Subjektiviérungspraktiken" (199)
„Nietzsche … spezifisch das Obligationenrecht als den Kern des … Subjektivierungsregimes bestimmt“ (194)
„Der Staat ist aus dem zivilen Verhältnis der Privatrechtspersonen zueinander, das wesentlich ein Kreditor-Debitor-
Verhältnis ist, nur abgeleitet“ (196)
Schuld-„Versprechen“ als
gesellschaftliche Verfahren bedeuten in der Tat eine – allerdings
in der Regel auf
Gegenseitigkeit kalkulierte – aktive
„Unterwerfung“ unter die Interessen der Menschen, gegenüber
denen dieses
Versprechen abgegeben wird. So fasst die „Verpflichtung“
bei Nietzsche durchaus eine Relativierung des Subjektseins
beim
Schuldner über einen Zeitraum, die über die absolute, aber
zeitlich nur punkthafte Anerkennungs-Souveränität
eines
Tausch-Subjekts bei Marx hinausgeht.
Mit dem Versprechen assoziiert Nietzsche dann auch die Bildung des Selbst:
„das
Versprechen ist somit nicht nur eine juristische Institution, sondern
eine Technologie des Selbst, bzw. mehr noch:
das Selbst ist für Nietzsche erst ein Resultat der historisch spezifischen soziolegalen Technologie des Vertrags.“ (194)
Aber weder zu der im Recht
kristallisierten abstrakten Subjektivität noch ihrer Scheidung von
einem Selbst findet sich
über das nur rechtliche, also das unbestimmte und beliebige Schuldverhältnis eine inhaltlich hinführende Erklärung.
Völlig
anders stellt sich der Sachverhalt dar, wenn es um das inhaltlich
näher bestimmte Versprechen eines Menschen
geht, sich als Mensch
unter das Kommando eines anderen Menschen zu begeben. Diese
Verpflichtung, die der
Lohnarbeiter eingeht, stellt als zeitweise
Veräußerung seiner selbst einen Verleih dar. (Auch wenn Marx diese
Transaktion nur bei allen anderen Revenuequellen, aber ausgerechnet
beim Lohnarbeiter so nicht fassen will.) Allein
für ein derartiges
Schuldverhältnis gilt es, als Mensch von seinem Selbst in aller
Leiblichkeit und Geistigkeit Abstand
zu nehmen, und ein von diesem
menschlichen Selbst abstrahiertes Subjekt auszubilden, und als dieses
abstrakte
Subjekt zugleich und dennoch für dieses Selbst souverän
handelnd
aufzutreten.
Welche
Schuldverhältnisse die Menschen warum
in unserer heutigen Gesellschaft willentlich eingehen, interessieren
weder Nietzsche noch Loick. Eine
Verpflichtung zwischen Menschen, die inhaltlich ein Subjekt in
rechtlicher
Abstraktheit erst hervorbringt, will und kann auch Loick
so nicht identifizieren und mit einer Notwendigkeit
dahingehend darstellen.
Entsprechend besteht für Loick
die „rechtskritische Konsequenz“ aus Nietzsches Denken in einer
„perfektionistische
Veränderung des Rechts selbst“, im
Herbeiwünschen einer Aufhebung der als grundlos befundenen
„kategorialen
Trennung von Recht und gutem Leben“ (220).
Loick
folgert in einem „Zwischenfazit“ eine praktisch orientierte
„Genealogische Repotenzierung der Rechtskritik – und
des
Rechts“(221): Das Recht sei als Sphäre des Willens ohne Grund und
Notwendigkeit “Ergebnis konkreter
Entscheidungen und somit
umkämpft“ und könne von daher „zumindest prinzipiell so
verändert werden, dass es
Kommunikation fördert und Partizipation
ermöglicht“ (227).
Die
Reflexionen um eine „postjuridische Politik“ in der Tradition von
Marx (Habermas, Honneth und Brown) nehmen
nach Loick als Maßstab nur eine „gelingende Sozialität“ (288).
Die
Besinnung einer „postjuridische Ethik“ in der Tradition
Nietzsches (Gilles Deleuze, Guattari) auf das absolut
Nichtrechtliche am Menschsein, auf die reine nicht-ordenbare
„Vitalität“ (270) am Menschen leiste nach Loick über
eine
„mikropolitische Lebenskunst“ (260) mit „illegalen
Existenzweisen“ (276), darüber hinaus eine „Durchbrechung
sozialer Normen“ (288).
Es
gelte aber nach Loick, „die sozialen mit den transgressiven
Prämissen zu versöhnen und so die beiden
Traditionslinien wieder zusammenzuführen“ (289).
Postjuridisches Recht – Renaissance des Rechts durch seine Transformation zum Guten.
Loick
moniert bei Marx ausgerechnet seine „wissenschaftliche Analyse und
Kritik der kapitalistischen
Wirtschaftsprozesse“ – anstatt dass
er sich bemühe, „ein soziales Recht näher auszumalen“ (302). Es
gilt nach Loick
dagegen ein „´menschliches Gesetz´“ (297) zu
definieren, mit der Zielrichtung
„´menschliches´ Recht“ (u.a. 301ff) zu
verwirklichen. Das sieht
Loick als seine eigene Aufgabe, die „Ausformulierung des Begriffs
des ´menschlichen´
Gesetzes als eines sozialen Rechts steht …
noch aus“ (302), kurz: ein „Programm eines radikal
transformierten
Rechts“ (289).
Jenseits von Marx und Nietzsche
könne und solle nach Loick ein „ein konkretes Gesellschaftsmodell“
entwickelt
werden, „welches Auskunft über eine mögliche Transformation des Rechts in Inhalt und Form gibt.“ (228)
Die
anzustrebende, alles wirkliche Recht transzendierende andere
„Rechtsform“
müsse
dann nicht mehr
„autoritativ“
auftreten, sondern könne „in der Alltäglichkeit der Rechtsbefolgung zu deliberativen Prozessen“ inspirieren (227).
Loick
„behauptet, dass diese Anfälligkeit des Rechts, seinen
emanzipatorischen Charakter zu verlieren, historisch und
somit kontingent, nicht begriffslogisch-systematisch und somit notwendig ist.“ (296, Anm.). Bei aller Kritik des real
existierenden Rechts leistet sich Loick also ein positives Glaubenbekenntnis zu einem idealen Recht. Er ist sich
gewiss, "dass ein Recht möglich ist, das die positiven ohne die negativen Eigenschaften der Rechtlichkeit besitzt"
(296).
Konkret
plädiert Loick für ein Hintersichlassen des juridismus-lastigen
Rechts dergestalt,wie
die Israeliten in Ägypten
ihren „Exodus“ (288, 291) verfolgten,
also nicht für eine „Freiheit von
Gesetzen, sondern Freiheit zum
Gesetz“ (291).
Es gälte ein Recht zu etablieren, das die Menschen sich selbst geben und das sie selbst vollziehen:
„...
nicht nur einer Demokratisierung der Rechtsschöpfung, sondern auch
der Rechtsprechung und der
Rechtsumsetzung“ (331). Als historisches
Vorbild dafür sieht er die nichtstaatliche „jüdische
Rechtstradition“ mit ihrer
„Gemeinschaft“(313) im „Streit der Rechtsauslegungen“ (317).
Einen Grund für das Recht und
den Willen dazu meint Loick philosophisch gewandt ignorieren zu
können. Wenn aber
gegen seine Beurteilung ein solcher Grund, und gar
ein menschenfeindlicher Grund in der Verwertung von Wert doch
vorliegt, dürften alternative Verfahren zur Rechtsfindung und
Rechtsausübung die Entsetzlichkeit der Rechts nur
fortschreiben können.
Resümee:
Weder die Fassung Hegels, dem
Willen einen Hang zur Abstraktion von sich anzudichten, noch
Nietzsches Sicht der
Beschränkung des Willens durch seine
Ermächtigung nimmt Loick zum Anlass, die entscheidende Frage zu
stellen:
wie denn der Wille des einzelnen Menschen als Wille (!)
zugleich zu seiner abstrahierenden Beschränkung in unserer
Gesellschaft überhaupt sich bildet und sich dann als rechtlich
geformter auch nur bilden lässt. Am ehesten ist es nach
Loick (und
Nietzsche) das Recht selbst in seiner staatlichen Dominanz, die es
den Menschen nahelegt, rechtlich und
gesellschaftlich monadisch zu
wollen. Umgekehrt birgt die ökonomische Gesellschaftlichkeit, wie
sie Marx erfasst hat,
für Loick auf keinen Fall eine Notwendigkeit
in sich, rechtlich zu wollen.
Das Recht wie es ist, kann Loick
in seinen vorliegenden Abstraktionen und seiner menschenfeindlichen
Dominanz
zwar sehr plastisch fassen und bezeichnen. Allerdings ist
ihm das Recht in seinem Da-Sein nur eine unerklärliche
Laune der Geschichte. Deshalb bleibt die Qualität des Rechts, sein So-Sein, Loicks Wunschdenken ausgeliefert.
Besprechung von
Daniel Loick: Juridismus. Konturen einer kritischen Theorie des Rechts, Berlin 2017
Titel:
Bewahrung des Rechts vor sich selbst und seinem Ismus
Abstract:
Loick arbeitet entlang von markanten Positionen der Geistesgeschichte am (europäischen) Recht heraus, wie es als von der Gesellschaft abgelöste soziale Form schon in seinem subjektiven Kern notwendig deformierend bis zerstörend auf die Menschen und ihr Zusammenleben wirkt: „Entsetzlichkeit“ des Rechts. Loick entnimmt denselben Wirkmomenten allerdings auch eine entgegengesetzte, emanzipatorische wie sozialisierende Leistung für die Menschen.
Eine begründende Erklärung für die Ausbildung, Praktizierung und Erhaltung dieses aktuellen Rechts in eben seiner Zwiespältigkeit strebt Loick nicht an. Er geht vielmehr von der Zufälligkeit der Rechtstradition aus und lehnt einen ihr äußerlichen Grund ab. Die Bestreitung von Beweggründen der Menschen in der Befürwortung des Rechts und seiner Auswüchse ist ihm deshalb kein Anliegen. Kritikwürdig ist für Loick lediglich die Tendenz, Rechtlichkeit gegen die Menschen zu übertreiben: Juridismus. Durch Ausmalung alternativer gesellschaftlicher Regelungen und Verfahren meint er die Menschen für ein anderes, nicht-dominierendes Recht gewinnen zu können.
„Juridismus bezeichnet die Dominanz des Rechts in den zwischenmenschlichen Interaktionsweisen westlicher Gesellschaften, welche die Bedingungen eines guten oder gelingenden Lebens als Zusammenleben untergräbt.“ (288)
Loick tritt an, die „potentiellen Defizite..., die schon in der Rechtlichkeit als solcher liegen“ (27) zu bestimmen, auf keinen Fall will er „ein bestimmtes Recht nur im Namen eines anderen Rechts“ (27) kritisieren. Allerdings resultiert bei Loick dann doch ein Fabulieren über ein ideales Recht, letztlich nurmehr darüber lässt er das vorliegende Recht schlecht aussehen. Welche Erklärung bietet Loick für die Rechtlichkeit, und wie untergräbt sein Argumentationsverlauf sein zunächst grundsätzlich kritisch sich gebendes Eingangsurteil zum Recht?
„Annäherung mit Hegel“ an das Recht und seinen Ismus.
Juridismus als Übertreibung des Rechts
„Juridismus als Trennung“ mündet nach Loick in einer „problematischen Dominanz des Rechts in den sozialen Beziehungen“, in einer „´Äußerlichkeit des Einsseins´“(27)
Diese Kennzeichnung übernimmt Loick von Hegel:
„Eine übermäßige Versteifung auf das (eigene) Recht, … , ist für Hegel deshalb problematisch, weil ein Mensch sich so von den anderen Menschen absondert, entzweit oder entfremdet.“(27f)
Loick geht es nun darum nachzuweisen, „dass das Recht solche Versteifungen regelmäßig und strukturell produziert, ..., dass es nicht oder zumindest nicht nur als Medium der gesellschaftlichen Koordination und Kooperation dient, sondern immer auch gegenläufige Tendenzen mitfabriziert.“ (28).
Loick verortet im von Hegel erfassten abstrakten Recht ein Wirkmoment gegen „Kooperation und Konfliktschlichtung“(40), gegen „physische und psychische Unversehrtheit“(40), und für „die Einrichtung eines potentiell despotischen Staatsapparates“ (46), somit gegen „politische Selbstbestimmung“ (40):
„Das Recht fabriziert Subjekte, die ideologisch verblendet, emotional verarmt, kommunikativ ausgedörrt und politisch passiviert sind.“ (Buch-Rückseite),
Damit herrscht „ideologische Täuschung, psychologischen Deformation, Verlust kommunikativer Qualität und … politischen Paralysierung“(13), mit einem Wort: „Entsetzlichkeit“ (13)
Loick resümiert, dass das abstrakte Recht einem „sozialen Freiheitsbegriff“ (39) „nicht oder nicht ausreichend genügt“ (39f).
Loick führt weiter aus, dass diese „Dissoziationseffekte des abstrakten Rechts“ (39) auch mit Hegels Therapieempfehlung der „Versöhnung“ (47) „im Rahmen eines Gesamtmodells der Sittlichkeit“ (55) der Rechtsphilosophie nicht geheilt werden können. Auch Hegels frühes Konzept der Liebe in „Der Geist des Christentums“ (57-76) tauge dafür nicht – wie auch eine „Suspension des Rechts“ (54) durch „kommunistischen oder anarchistische Rechtskritiken“(55).
Loick weist auf das Trennende als Qualität des Rechts selbst und seiner kategorialen Grundelemente hin. Er führt dieses Trennende allerdings nur an den Folgen der Anwendung des Rechts vor. Dissoziation und Entsetzlichkeit resultieren nach Loick auch nicht aus der Regelhaftigkeit dieser Anwendung, sondern allein aus singulären Exzessen des Rechts, sei es aufgrund staatlicher Dominanz oder privat orientierter Übertreibung.
„Der emanzipatorische Gehalt des Rechts“(102)
Die Qualität seiner negativen Beurteilungen des Rechts („übermäßige Versteifung“, „nicht nur...Medium der gesellschaftlichen Kooperation“) ließ es schon vermuten: Die rechtlichen Grundelemente wie das Person-sein sind nach Loick nicht als Grund für diese Exzesse anzusehen, da gerade diesen Grundelementen zugleich ein Positivum zuzubilligen ist.
Loick befindet – trotz aller „problematischen Effekte der gegenwärtigen Gestalten dieser Kategorien“ (109) – einen „emanzipatorischen Gehalt des Rechts“, in den „positiven Leistungen (die) das moderne Recht am Subjekt erbringt“ (102).
Warum es Recht gibt und es sein muss, ist für Loick also keine zu klärende Frage. Angesichts der tatsächlichen Gegebenheit des Rechts weiß er nurmehr seine Wirkung zu bereden, also auch seine etwaige Brauchbarkeit für die Menschen:
Erst „das Recht … fabriziert Subjekte, die sich der Legitimität und der Möglichkeit gewahr sind, anders zu sein als die anderen“ (103). Diese Subjekte haben nach Loick erst mit dem „Respekt personaler Zurechnung von Verantwortung“(105), also als Rechtssubjekte die „Möglichkeit, für ihr Handeln einzustehen“ (104) Zudem: „Die Bedeutung des Rechts für die Entwicklung von Selbstachtung … ist konstitutiv“ (108), damit ergebe sich die „Erfahrung rechtlicher Würde“. (108)
Ob für diese – gesellschaftlichen wie individuellen – Emanzipationsmomente nicht ein verständiger menschlicher Geist hinreichen sollte, sondern es unbedingt der Instanz einer abstrakten Rechtssubjektivität dafür bedarf, diese Erläuterung bleibt Loick schuldig. Das Recht wird von Loick als bestimmend („konstitutiv“) sowohl für die Dissoziation als auch für die Emanzipation der Menschen schlicht behauptet. Umgekehrt ist damit von dem Anliegen Abstand genommen, überhaupt zu klären, warum die Menschen dieses so ambivalente Recht hervorbringen, praktizieren und erhalten.
So fabriziert Loick aus einer radikal anhebenden Kritik des Rechts gerade seine Ehrenrettung:
„die Ursache des europäischen Juridismus [ist] nicht im Recht als solchem zu suchen, sondern nur historisch spezifisch in einer bestimmten Form und einem bestimmten Inhalt des Rechts.“ (109)
Gegen all seine eigenen negativen Urteile zum vorliegenden Sachverhalt des Rechts gilt es nach Loick das Recht gegen seine Erscheinungsform aufrechtzuerhalten, also als Idee zu pflegen, da Recht zumindest auch „eine Bedingung des gelingenden Lebens als Zusammenleben“ (295) sei.
Despotie des Rechts
Entlang des römischen Rechts habe nach Loick Hegel seine Sittlichkeit gegen die Sittlichkeit der Liebe (in „Der Geist des Christentum“) reformuliert.
Die römische Rechtssubjektivität mache nach Hegel über seinen „Kern“, das Privatrecht (122) „aus der Vielzahl empirisch ungleicher Menschen rechtlich gleiche Rechtssubjekte.“ (120). Im römischen Recht bestehe aber „Rechtspersonalität als abstrakte Freiheit und konkrete Unfreiheit“ (122). Nach Hegel existierten in der römischen Gesellschaft „gar keine gemeinsamen Bezugspunkte“ (129), sodass „nur noch Zwang das Auseinanderfallen des Staates verhindert“ (129).
Sowohl für römische Rechtsverhältnisse als auch für die deren Rechtsinstitute adaptierende bürgerliche Gesellschaft (162) folgert Loick einen notwendigen „Despotismus“, weil sich die Menschen „als Rechtspersonen zu einem Dasein als schiere Eigentümer degradieren lassen“ (130), und diese „spröden“, sprich atomisierten „Individuen... von außen zusammengehalten werden“ (129) müssen.
Loick betont für die bürgerliche Gesellschaft zwar eine Weiterentwicklung: „zur vollen Blüte gelangt die Rechtspersönlichkeit erst in der Neuzeit“ (121 Anm.). Deutlicher (im Kapitel über Nietzsche):
„erst die modernen subjektiven Rechte (verstehen) das positive Wollen der Rechtssubjekte als Ansprüche der Einzelnen aneinander und die Gesellschaft“ (199)
Mit dem Verweis auf Marx´ „Realabstraktion“ („Die Abstraktion, die der Rechtspersonalität zugrunde liegt, ist nämlich kein kognitiver, sondern ein praktischer Vorgang“125), lehnt Loick Hegels Konzept ab, diese Abstraktion ideal, also unmittelbar i m Willen des Subjekts bestimmt und gebildet zu finden.
Er thematisiert aber dennoch nicht, worin und warum die bürgerliche gegenüber der antiken Rechtsperson anders sich darstellt. Mit der Missachtung der Differenz von römischer und bürgerlicher Person, nimmt Loick das bürgerliche (=„europäische“) Recht zumindest in seinem negativen Moment als ebenfalls die Menschen nur von außen dominierende Abstraktion:
„Dem Recht gelingt es so, die Menschen zu einer Form von Abstraktion zu bewegen, die ihre eigene Besonderheit und die ihrer Mitmenschen zugleich vernachlässigt.“ (126)
Dem inhaltlichen Unterschied der historischen Rechtsarten geht Loick also gerade aus dem Weg: Mag zwar das römische Recht diese Abstraktion in der Tat von außen herstellen, ist die bürgerliche Person eine Abstraktionsleistung zumindest ü b e r die menschlichen Subjekte selbst und ihren p o s i t i v e n Willen.
Hegels Recht aus dem Willen der Menschen
Hegels kritischer Begutachtung des römischen Rechts entgegengerichtet, beginnt nach Loick dennoch mit der „Phänomenologie des Geistes“ eine Fehlentwicklung der hegelschen Rechtserklärung:
„der methodische Unterschied liegt … darin, dass Hegel das Recht nicht erst als soziales Faktum hinnimmt und in einem zweiten Schritt dessen Auswirkungen auf die Subjektivität untersucht, sondern es von vornherein aus der Entwicklungsperspektive des Subjekts ... behandelt.“(131)
Diese „rechtliche Subjektivierung“ (140) bedeute zugleich eine „politische Ironie“ dergestalt, „dass die Menschen im abstrakten Recht die Verwirklichung persönlicher Freiheit suchen, zugleich aber gezwungen sind, eine politische Macht zu akzeptieren, die diese Freiheit immer zugleich negiert“ (141).
Diese Herangehensweise Hegels an das Recht münde schließlich in “Hegels Depotenzierung des Rechts und der Rechtskritik“ (147) in der Rechtsphilosophie:
„Hegel kann die Einseitigkeit und Versteifung nicht mehr dem Recht selbst anlasten“ (149), sondern nurmehr den „rechtsvorgängigen Charaktereigenschaften des Rechtssubjekts“ (149).
Mit der Entwicklung des Rechts aus dem Willen kehre Hegel nach Loicks Vorstellung die tatsächliche Abfolge der Dinge um:
„So konstruiert er ein Phänomen als natürlich, das in Wirklichkeit erst Ergebnis der faktischen Einrichtung von Rechtsstrukturen ist“ (150).
Entsprechend sei die „Versöhnung“ in der bürgerlichen Sittlichkeit zwischen abstraktem Recht und dem Leben nicht harmonisch und nicht aus dem abstrakten Recht selbst heraus zu haben. Vielmehr ist letztlich „Hegels Lösung, das Recht … nur zu ergänzen, … zum Scheitern verurteilt“ (163), auch wenn auf ein ganzen System an sittlichen Anstrengungen (152), und letztlich despotischen Staatsinstitutionen (157) abgestellt wird.
Loick begreift so Hegels Darstellung als „ideologischen Auffassung, das Recht als Konsequenz des Willens ... zu begreifen“ (150 Anm), und richtet sich gegen diese geistesnotwendige Entwicklung und begriffslogische Darstellungsweise des Rechts durch Hegel.
Allerdings bietet Loicks Ablehnung dieser Vorgehensweise als inhaltliche Begründung nur, dass der Wille genausogut umgekehrt, „genealogisch“, also materiell-historisch „als Konsequenz der Rechts zu begreifen“ wäre. Hegels Bemühungen einer Bestimmung der logischen Stellung der zeitgleich vorliegenden gesellschaftlichen Momente zueinander hält er überhaupt für obsolet. Entsprechend lässt Loick schon Hegels Entwicklung des Willens zum abstrakt freien Willen argumentativ völlig unberührt. Er nimmt sie nur als durchaus möglichen realen Wirkmechanismus, der nicht logisch entkräftet werden muss, sondern der mit einer anderen, realhistorisch nur ebenfalls nachvollziehbaren Entstehungsvorstellung des Rechts schon desavouiert sei.
Die „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ von 1921, die Hegel als konsequenten Endpunkt seiner theoretischen Bemühungen angesehen hat, übergeht Loick letztlich. Von dem „logischen Geiste“, von dem Hegel „möchte.., dass diese Abhandlung gefasst und beurteilt würde“ (Vorrede V), will Loick nichts wissen. Loick bemüht sich ausdrücklich nicht um Prüfung der logischen Systematik in der Rechtsphilosophie Hegels, sondern er lehnt eine solche vorab und unbesehen ab.
Loick hält deshalb nur mit Blick jenseits der Logik der Rechtsphilosophie Hegels die Annahme eines „Willens an sich vor dem tatsächlichen geschichtlichen Auftauchen von Willensäußerungen“ für einen unredlichen „Kunstgriff“ (150) Hegels.
Der innertheoretische Fehlgriff Hegels entgeht ihm so vollständig, nämlich einen abstrakt freien Willen aus jedwedem Willen zu folgern und ihm getrennt von jedwedem Willen eine Existenz für sich zuzuordnen.
Loick mag zuzustimmen sein, dass die bürgerliche Rechtsperson nicht – wie Hegel sich das vorstellt – Ausfluss des Willens sein kann. Was für eine Art Wille aber doch imstande und genötigt sein mag, zum Rechtswillen zu gedeihen, ist damit nicht beantwortet. Allemal kann es nur ein Wille sein, der inhaltlich schon festgelegt ist, sprich: eine Art Willen im Widerspruch zu sich selbst.
„genealogische Radikalisierungen“ Hegels – Marx
„Marx´ politische Kritik der Absonderung“ (161)
Loick erwägt, dass es „Neben der ideologischen Auffassung, das Recht als Konsequenz des Willens, und der genealogischen Auffassung, den Willen als Konsequenz der Rechts zu begreifen“ (150 Anm.) eine dritte Möglichkeit gibt. Nach Loick könnte „Hegels Analyse des Juridismus materialistisch“ (151) gewendet werden, es wäre auch möglich „den Willen als rechtsvorgängig, aber sozial zu verstehen“ (150 Anm.). Als Protagonisten dieser Position, mit ihrer Zuspitzung „auf eine grundsätzliche Infragestellung der Rechtsform“ und der Perspektive einer „Überwindung bürgerlicher Rechtsformen“ (163) stellt er Marx vor. Allerdings liest er Marx´ Sichtweise wie schon Hegels Rechtsphilosophie als nichtlogische Systematik, und nimmt Marx´ Entwurf keinesfalls als mit Hegels Systematik konkurrierende Erklärung des (Rechts-)Willens.
Überhaupt leiste Marx´ Theorie gar keine Begründungsleistung für etwas das existiert, auf keinen Fall für das existierende Recht, sondern sie sei Erklärung nur für etwas, was es nicht gibt:
„Das entscheidende Hindernis der Verwirklichung sozialer Freiheit ist für Marx eine Produktionsweise, die den Einzelnen ein Desinteresse an den konkreten Bedürfnissen der anderen aufzwingt.“ (161)
Genauer sei Marx nur die Fassung einer schlechten Rahmenbedingung für das Recht gelungen:
„...kritisiert Marx, dass es gerade die Bedingungen kapitalistischer Produktion sind, unter denen sich die rechtlich ermöglichte soziale Zentrifugalkraft entfalten kann.“ (161)
Damit gilt es nach Loick die kapitalistische Produktion in der begrifflichen Fassung von Marx allemal nicht als (logischen) Grund für das Recht überhaupt zu begutachten, sondern lediglich als eine ungünstige soziale Umgebung zu nehmen, aufgrund deren eher die schlechten anstatt die guten Momente des Rechts zur Geltung kommen. Nach einer logisch stringenten und umfassenden Begründung des Rechts durch die ökonomischen Kategorien sei bei Marx überhaupt nicht zu fahnden. In der Tat wäre nur mit einem derartigen Nachweis eine Nachrangigkeit des Rechts gesichert, und die Autonomie des Rechts „als eigene Sphäre“ (178) relativiert.
Auf Marx´ fortgeschrittenstes wissenschaftliches Werk, „Das Kapital“ und das logische Potential seiner Kategorien im Hinblick auf die rechtliche Willens- und Subjektbildung will Loick dabei schon gar nicht eingehen. Selbst die üblicherweise dafür bemühte Ware und ihr Austauschprozess findet diesbezüglich nicht einmal eine Erwähnung geschweige denn eine Erörterung.
Stattdessen bescheinigt er Marx und seinen Nachfolgern bzgl. einer Begründung der Rechtssubjektivität aus den Kategorien der Mehrwertproduktion eine prinzipielle Fehlerhaftigkeit so knapp wie pauschal:
„das Recht ist nicht einfach der nachträgliche Ausdruck oder das ideologische Resultat von Atomismus und Egoismus, sondern stellt sie auch mit her.“ (163)
„Diesen Ansätzen kann hier allerdings nur so weit gefolgt werden, als die das Recht nicht zu einem bloßen Überbauphänomen oder zur Widerspiegelung der ökonomischen ´Basis´ herabstufen“(15)
Diese Gegenposition Loicks mag hier zwar gegen bekannte Marxismen auftreten, die statt einen logischem Nachweis dafür zu leisten, sich mit einer „Weltanschauung“ von ökonomischer Basis und rechtlichem Überbau zufrieden geben. Loick selbst vermeidet aber ebenfalls eine prüfende Suche nach logischen Notwendigkeiten für das Recht in einem von Marx beanspruchten Wesenskern der bürgerliche Gesellschaft. Loick pocht – letztlich wie die kritisierten Verfechter der ökonomischen Wirkung auch – jenseits einer logischen Systematik nur auf die tatsächliche Wirkmächtigkeit des Rechts. Es gelte entscheidend seine reale andere, „direktive Dimension“:
„Das Recht … veranlasst. Diese Funktion des Rechts ist aktiv“ (162f).
Damit wiederholt und bekräftigt Loick spiegelverkehrt den Fehler der kritisierten Positionen, die Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Tatsächlichkeit zu isolieren, und nur in ihrer jeweiligen realen historischen Wirkung zu nehmen und zu begutachten:
„ist es die spezifische Form moderner Rechte als subjektive Rechte, welche die bürgerliche Gesellschaft als Summe voneinander isolierter Subjekte hervorbringt“ (mit Bezug auf Menkes „Kritik der Rechte“, 165)
Auch Loick will die Phänomene der bürgerlichen Gesellschaft gar nicht in einem systemischen Zusammenhang (wahr)nehmen, und prüft deshalb auch nicht ihre in diesem Zusammenhang allein logisch sich darbietende Stellung. Hegel betonte, dass seine Abhandlung des Rechts auf dem „logischen Geiste“ beruhe, und forderte, dass sie darin auch „gefaßt und beurteilt würde“ (Vorrede V). Marx hat wie Hegel ein solche logisch in sich stimmige Systematik für die bürgerlichen Gesellschaft verfolgt (und vielleicht wie Hegel verfehlt). Dass beide Systematiken eben auch nur in ihrer kategorialen Logik grundlegend anfechtbar wären, ist Loick offensichtlich weder geläufig noch diskussionswürdig.
Dabei rühren Loicks sachliche Kenntnisse durchaus an logische Notwendigkeiten heran: Er stellt immerhin fest, dass die „Umwandlung des Körpers in Arbeitskraft“ mit einer „Fabrikation von Rechtssubjektivität“ (171, Anm.) einhergeht. Diesen Zusammenhang nimmt er aber als eine Zufälligkeit, und er ist ihm mitnichten Anlass, da inhaltlich nachzuhaken. Schon gar nicht nimmt er diesen Konnex als mögliches logisches Schlüsselmoment einer Begründung der Rechtsperson an, aufgrund dessen dann selbst Lohnarbeiter – wie auch alle anderen Subjekte der bürgerlichen Ökonomie – aktiv für Recht und Despotie zu haben sind.
Loicks Würdigung der marxistischen Diskussion:
„Marx´ Beitrag zu einer spezifischen sozialphilosophischen Kritik des Rechts ist bislang allerdings noch nicht hinreichend gewürdigt worden.“ (163,Anm.)
kann damit voll und ganz ihm selbst gegenüber vorgebracht werden.
Marx als Ideengeber eines anderen Rechts
Marx´ Perspektive auf das Recht besteht Loick zufolge gemäß seiner von ihm behaupteten systematischen Stellung als logisch gefolgert darin, „es zu überwinden“ (181), weil es mit der Überwindung der bürgerlichen Ausbeutung „als eigene Sphäre schlicht überflüssig geworden ist“ (178). Nachdem Loick aber das Recht als logisch nachgeordnetes Moment der bürgerlichen Gesellschaft nicht beurteilt, und es auch als solches in Marx´ systematischen Werk „Das Kapital“ nicht verfolgen will, kann er diese Konsequenz nur unbesehen ablehnen.
Loick zieht es vor, sich auf den frühen Marx zu besinnen und sich der vorwissenschaftlichen „Zielvorstellung“(179) von Marx zu widmen, nach welcher es gelte „das Gesetz menschlicher zu machen“ (172).
Dabei gilt es nach Loick dennoch kritisch zu verfahren:
„um der essentiellen menschlichen Sozialität Rechnung zu tragen und soziale Freiheit zu verwirklichen“, muss das Recht „auch seiner Form nach verändert“ (184) werden.
Diese herbeigesehnte Beibehaltung des Rechts unter seiner Formveränderung soll dem Recht „grundlegend andere Subjektivierungspraktiken“ bescheren, „die eben das Subjekt, indem sie es rechtlich binden, zugleich von Recht befreien“ (184).
Loick spitzt die Differenz von Idee und Wirklichkeit des Rechts gezielt auf diesen Widerspruch zu, Recht als Befreiung von Recht zu denken. Loick gesteht damit ein, sich gänzlich von dem emanzipieren zu wollen, was Recht reell und seinem Begriff nach ist. Die imaginierte andere gesellschaftliche Regelung dennoch Recht zu nennen, ist nurmehr Loicks subjektiver Deutungshoheit und Entscheidungswillkür geschuldet.
Hegel beanspruchte mit seinen theoretischen Anstrengungen noch „Das, w a s i s t zu begreifen“ (Vorrede XXII) und formulierte damit auch eine Distanz zu allen wohlmeinenden Schwärmern: „baut... sich eine Welt, wie sie sein soll, s o e x i s t i e r t s i e w o h l , aber nur in seinem Meinen...“ (Vorrede XXII).
Loick bemüht sich jenseits einer logisch-begrifflichen Fassung dessen, w a s und vor allem w a r u m Recht i s t , unbekümmert darum, was und wie das Recht sein s o l l .
„genealogische Radikalisierungen“ Hegels – Nietzsche
„Nietzsches Genealogie der unterwerfend-unterworfenen Rechtssubjektivität“ (185)
Die logische Kreation des Rechts sowohl aus dem Willen (Hegel) als auch aus der Art des Wirtschaftens (Marx) ist nach Loick also zu verwerfen, ohne dass es ihre Logiken dahingehend zu prüfen und zu widerlegen gälte. Stattdessen favorisiert Loick eine positive Idee von Recht. Vor Ausmalung dieser Idee vergewissert er sich noch entlang von Nietzsche seines eigenen kritischen Urteils zum Recht, nach dem der Willenshaushalt der Menschen in seiner Wirklichkeit der geltenden (europäischen) Rechtlichkeit nachgeordnet sei.
Nietzsche formuliert nach Loick in seiner „Genealogie der Moral“ „eine perfektionistische Kritik des Rechts“ (185), die das Recht „hinsichtlich seiner Verwirklichung eines ´guten Lebens´ bewertet“ (185), also „nicht wegen seiner Ungerechtigkeit oder Unmoral kritisiert, sondern weil es ein gutes Leben versperrt.“ (217)
Loick: „Ein juridisch konstituiertes Subjekt zu sein ist offenbar eine suboptimale Existenzweise“ (219)
Im Gegensatz zu Hegels Konstruktion „der Herauslösung des Individuums aus der naturwüchsigen Gemeinschaft aus Perspektive der Subjekte“ (195 Anm.) beschreibe Nietzsche „diesen Vorgang ...als eine (vertikale) Dynamik zwischen einem Subjekt und der Gesellschaft“ (195 Anm.):
„Die Konstitution des ´souveränen Individuums´ist somit paradox: Sie ist Konstitution zugleich einer Unterwerfung und einer Ermächtigung“ (195)
und zwar sei „das Rechtssubjekt ... durch die Ermächtigung unterworfen“ (195)
Allerdings prägen bei Nietzsche nicht die Produktionsverhältnisse á al Marx (und ihre Tausch- und Anerkennungsverhältnisse) den nachgeordneten Willen der Menschen. Nietzsche stellt sich die schon fertigen rechtlichen Verpflichtungen jenseits gesellschaftlicher Verhältnisse als die treibenden Momente für die Willensbildung der Menschen vor:
„Der Wille des Einzelnen (ist) in Wirklichkeit erst Ergebnis juridischer Subjektivierungspraktiken“ (199)
„Nietzsche … spezifisch das Obligationenrecht als den Kern des … Subjektivierungsregimes bestimmt“ (194)
„Der Staat ist aus dem zivilen Verhältnis der Privatrechtspersonen zueinander, das wesentlich ein Kreditor-Debitor-Verhältnis ist, nur abgeleitet“ (196)
Schuld-„Versprechen“ als gesellschaftliche Verfahren bedeuten in der Tat eine – allerdings in der Regel auf Gegenseitigkeit kalkulierte – aktive „Unterwerfung“ unter die Interessen der Menschen, gegenüber denen dieses Versprechen abgegeben wird. So fasst die „Verpflichtung“ bei Nietzsche durchaus eine Relativierung des Subjektseins beim Schuldner über einen Zeitraum, die über die absolute, aber zeitlich nur punkthafte Anerkennungs-Souveränität eines Tausch-Subjekts bei Marx hinausgeht.
Mit dem Versprechen assoziiert Nietzsche dann auch die Bildung des Selbst:
„das Versprechen ist somit nicht nur eine juristische Institution, sondern eine Technologie des Selbst, bzw. mehr noch: das Selbst ist für Nietzsche erst ein Resultat der historisch spezifischen soziolegalen Technologie des Vertrags.“ (194)
Aber weder zu der im Recht kristallisierten abstrakten Subjektivität noch ihrer Scheidung von einem Selbst findet sich über das nur rechtliche, also das unbestimmte und beliebige Schuldverhältnis eine inhaltlich hinführende Erklärung.
Völlig anders stellt sich der Sachverhalt dar, wenn es um das inhaltlich näher bestimmte Versprechen eines Menschen geht, sich als Mensch unter das Kommando eines anderen Menschen zu begeben. Diese Verpflichtung, die der Lohnarbeiter eingeht, stellt als zeitweise Veräußerung seiner selbst einen Verleih dar. (Auch wenn Marx diese Transaktion nur bei allen anderen Revenuequellen, aber ausgerechnet beim Lohnarbeiter so nicht fassen will.) Allein für ein derartiges Schuldverhältnis gilt es, als Mensch von seinem Selbst in aller Leiblichkeit und Geistigkeit Abstand zu nehmen, und ein von diesem menschlichen Selbst abstrahiertes Subjekt auszubilden, und als dieses abstrakte Subjekt zugleich und dennoch für dieses Selbst souverän handelnd aufzutreten.
Welche Schuldverhältnisse die Menschen warum in unserer heutigen Gesellschaft willentlich eingehen, interessieren weder Nietzsche noch Loick. Eine Verpflichtung zwischen Menschen, die inhaltlich ein Subjekt in rechtlicher Abstraktheit erst hervorbringt, will und kann auch Loick so nicht identifizieren und mit einer Notwendigkeit dahingehend darstellen.
Schuld- und Verpflichtungsverhältnisse, die rechtlich gefasst sind, sind mit Nietzsche für Loick vielmehr einfach gegebene, für sich stehende Willensakte, Zufälle der sozialgeschichtlichen Wirklichkeit, sowohl als Rechtsinstitute wie als ihre Übertreibung im Juridismus letztlich nur merkwürdige Angewohnheiten der Menschen.
Entsprechend besteht für Loick die „rechtskritische Konsequenz“ aus Nietzsches Denken in einer „perfektionistische Veränderung des Rechts selbst“, im Herbeiwünschen einer Aufhebung der als grundlos befundenen „kategorialen Trennung von Recht und gutem Leben“ (220).
Postjuridische Politik und Ethik
Loick folgert in einem „Zwischenfazit“ eine praktisch orientierte „Genealogische Repotenzierung der Rechtskritik – und des Rechts“(221): Das Recht sei als Sphäre des Willens ohne Grund und Notwendigkeit “Ergebnis konkreter Entscheidungen und somit umkämpft“ und könne von daher „zumindest prinzipiell so verändert werden, dass es Kommunikation fördert und Partizipation ermöglicht“ (227).
Die Reflexionen um eine „postjuridische Politik“ in der Tradition von Marx (Habermas, Honneth und Brown) nehmen nach Loick als Maßstab nur eine „gelingende Sozialität“ (288).
Die Besinnung einer „postjuridische Ethik“ in der Tradition Nietzsches (Gilles Deleuze, Guattari) auf das absolut Nichtrechtliche am Menschsein, auf die reine nicht-ordenbare „Vitalität“ (270) am Menschen leiste nach Loick über eine „mikropolitische Lebenskunst“ (260) mit „illegalen Existenzweisen“ (276), darüber hinaus eine „Durchbrechung sozialer Normen“ (288).
Es gelte aber nach Loick, „die sozialen mit den transgressiven Prämissen zu versöhnen und so die beiden Traditionslinien wieder zusammenzuführen“ (289).
Postjuridisches Recht – Renaissance des Rechts durch seine Transformation zum Guten.
Loick moniert bei Marx ausgerechnet seine „wissenschaftliche Analyse und Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsprozesse“ – anstatt dass er sich bemühe, „ein soziales Recht näher auszumalen“ (302). Es gilt nach Loick dagegen ein „´menschliches Gesetz´“ (297) zu definieren, mit der Zielrichtung „´menschliches´ Recht“ (u.a. 301ff) zu verwirklichen. Das sieht Loick als seine eigene Aufgabe, die „Ausformulierung des Begriffs des ´menschlichen´ Gesetzes als eines sozialen Rechts steht … noch aus“ (302), kurz: ein „Programm eines radikal transformierten Rechts“ (289).
Jenseits von Marx und Nietzsche könne und solle nach Loick ein „ein konkretes Gesellschaftsmodell“ entwickelt werden, „welches Auskunft über eine mögliche Transformation des Rechts in Inhalt und Form gibt.“ (228)
Die anzustrebende, alles wirkliche Recht transzendierende andere „Rechtsform“ müsse dann nicht mehr „autoritativ“ auftreten, sondern könne „in der Alltäglichkeit der Rechtsbefolgung zu deliberativen Prozessen“ inspirieren (227).
Loick „behauptet, dass diese Anfälligkeit des Rechts, seinen emanzipatorischen Charakter zu verlieren, historisch und somit kontingent, nicht begriffslogisch-systematisch und somit notwendig ist.“ (296, Anm.). Bei aller Kritik des real existierenden Rechts leistet sich Loick also ein positives Glaubensbekenntnis zu einem idealen Recht. Er ist sich gewiss, „dass ein Recht möglich ist, das die positiven ohne die negativen Eigenschaft der Rechtlichkeit besitzt“ (296).
Konkret plädiert Loick für ein Hintersichlassen des juridismus-lastigen Rechts dergestalt,wie die Israeliten in Ägypten ihren „Exodus“ (288, 291) verfolgten, also nicht für eine „Freiheit von Gesetzen, sondern Freiheit zum Gesetz“ (291). Es gälte ein Recht zu etablieren, das die Menschen sich selbst geben und das sie selbst vollziehen:
„... nicht nur einer Demokratisierung der Rechtsschöpfung, sondern auch der Rechtsprechung und der Rechtsumsetzung“ (331). Als historisches Vorbild dafür sieht er die nichtstaatliche „jüdische Rechtstradition“ mit ihrer „Gemeinschaft“(313) im „Streit der Rechtsauslegungen“ (317).
Einen Grund für das Recht und den Willen dazu meint Loick philosophisch gewandt ignorieren zu können. Wenn aber gegen seine Beurteilung ein solcher Grund, und gar ein menschenfeindlicher Grund in der Verwertung von Wert doch vorliegt, dürften alternative Verfahren zur Rechtsfindung und Rechtsausübung die Entsetzlichkeit der Rechts nur fortschreiben können.
Resümee:
Weder die Fassung Hegels, dem Willen einen Hang zur Abstraktion von sich anzudichten, noch Nietzsches Sicht der Beschränkung des Willens durch seine Ermächtigung nimmt Loick zum Anlass, die entscheidende Frage zu stellen: wie denn der Wille des einzelnen Menschen als Wille (!) zugleich zu seiner abstrahierenden Beschränkung in unserer Gesellschaft überhaupt sich bildet und sich dann als rechtlich geformter auch nur bilden lässt. Am ehesten ist es nach Loick (und Nietzsche) das Recht selbst in seiner staatlichen Dominanz, die es den Menschen nahelegt, rechtlich und gesellschaftlich monadisch zu wollen. Umgekehrt birgt die ökonomische Gesellschaftlichkeit, wie sie Marx erfasst hat, für Loick auf keinen Fall eine Notwendigkeit in sich, rechtlich zu wollen.
Das Recht wie es ist, kann Loick in seinen vorliegenden Abstraktionen und seiner menschenfeindlichen Dominanz zwar sehr plastisch fassen und bezeichnen. Allerdings ist ihm das Recht in seinem Da-Sein nur eine unerklärliche Laune der Geschichte. Deshalb bleibt die Qualität des Rechts, sein So-Sein, Loicks Wunschdenken ausgeliefert.